Musikreview Totentanz-Magazin
Morrissey – 25 Live
(Eagle Rock Entertainment)
Rund 1800 Leute fasst das Auditorium der Hollywood High School in Los Angeles, in der Morrissey am 2. März 2013 auftrat. Zum 25-jährigen Jubiläum der Solokarriere des ehemaligen The Smiths-Frontmanns erscheint nun 9 Jahre nach dem atemberaubenden Who Put the 'M' in Manchester ein Mitschnitt dieses Konzerts. Mit der Setlist kann man absolut zufrieden sein: Alma Matters eröffnet das Konzert passend zur Location, mit November Spawned A Monster bringt Morrissey einen seiner größten Klassiker in einer Percussion-lastigen Variante, und das umwerfende Ouija Board, Ouija Board überzeugt mit progressivem Drumming und stimmungsvoller Beleuchtung. Bei You're The One For Me, Fatty zeigt sich der mit Maracas seinen Teil zur Percussion beitragende Morrissey samt Band ausgesprochen gut gelaunt; Irish Blood, English Heart kommt genau so explosiv daher, wie es diese Kampfansage an das englische Königshaus nun mal braucht, und beim wunderbaren Let Me Kiss You ist Morrissey abermals in selbstironischer Topform und entledigt sich ohne Rücksicht auf altersbedingte Figurprobleme einmal mehr seines Hemdes. Ein erster Höhepunkt der DVD ist für mich das eher selten gespielte Maladjusted, das ungemein gitarrenlastig, energiegeladen und wütend daherkommt und bei dem sich die ohnehin hervorragend aufgelegte Band ungehemmt austoben darf. Eine gelungene Überraschung ist auch Speedway, bei dem sich Morrissey hinsichtlich seines früher gespannten Verhältnisses zur Musikpresse ungewohnt gelassen und versöhnlich zeigt.
Aber was wäre ein Morrissey-Gig ohne Smiths-Material? Bühnenpräsenz und Überzeugungkraft steigen mit den ersten Worten von Still Ill noch einmal an, und wenn das Publikum hier lauthals jede einzelne Silbe mitsingt, ist das einfach überwältigend. Richtig düster wird es, wenn Morrissey mit Meat Is Murder einmal mehr deutlich macht, wie ernst es ihm in Sachen Animal Rights ist: Als wäre der Song nicht schon intensiv genug, wird er hier mit Stroboskop-Gewitter und sich orgiastisch steigerndem Gitarrenlärm unterlegt, während im Hintergrund viel zu selten gezeigte Bilder aus Schlachthöfen ablaufen - und Morrissey kniet in demütiger Haltung davor, als wolle er für all das Leid um Vergebung bitten und als bete er dafür, dass es endlich aufhört. Dieser Moment dürfte zu den stärksten und zugleich verstörendsten Augenblicken in der Live-Geschichte Morrisseys gehören, und auch was den Gesang angeht, ist er an keiner Stelle entschlossener und ausdrucksstärker als hier. That Joke Isn't Funny Anymore und das sehr persönlich gesungene Please, Please, Please Let Me Get What I Want gehen ebenfalls unter die Haut. Bei The Boy With The Thorn In His Side schaffen es eine Reihe Crowdsurfer auf die Bühne und umarmen den sich wie immer hierüber freuenden Morrissey - wie das ja gute Tradition ist -, bevor sie von der Security weggetragen werden. Stark ist schließlich auch das Frankie Valli-Cover To Give Is The Reason I Live, das Morrissey Gelegenheit gibt, endlich mal wieder seine hervorragende Kopfstimme auszupacken.
Außerdem gibt es auch noch ganz neues Material. Action Is My Middle Name steht ganz auf einer Stufe mit I'm Throwing My Arms Around Paris, das hier natürlich auch nicht fehlt: Beide zwar ziemlich einfach, aber dennoch umwerfend gut. Von People Are The Same Everywhere kann man das nicht unbedingt sagen – in seiner Schlichtheit reiht es sich ein in die eher unrühmliche Liste von Nummern wie That's How People Grow Up oder I Like You, und so macht das Konzert leider auch einmal mehr die qualitative Differenz älteren und manchen neuen Materials spürbar. Neben den beiden genannten finden sich zwei weitere neue Nummern im Bonusmaterial, wo wir Morrissey mit Produzent Tony Visconti im Studio beobachten dürfen: Scandinavia ist eine ganz gelungene elegische Nummer, The Kid's A Looker hat gute Gesangslinien und könnte so auch auf Years Of Refusal stehen, wobei der „Lalala“-Refrain aber leider wieder ins Mittelmaß abrutscht - beim neuen Material kann Morrissey also zweimal ganz gut punkten, zweimal nicht. Hier kann man wirklich nur hoffen, dass er seine Ansprüche beim Songwriting in Zukunft wieder ein paar Umdrehungen nach oben schraubt. Wie er mit lahmen Stücken wie People Are The Same Everywhere zufrieden sein kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
In Bezug auf die Band hängen sich insbesondere der bislang nicht zum Stab gehörende Anhony Burulcich an den Drums, Wirbelwind Solomon Walker am Bass und Gitarrist Jesse Tobias sehr stark rein, während sich Publikumsliebling Boz Boorer diesmal etwas zurückhält. Der manchmal subtile, manchmal mit dem Vorschlaghammer präsentierte ironische Humor Morrisseys ist genauso allgegenwärtig wie die Menschlichkeit, die er nie verloren hat und für die ihn seine Fans lieben. Entsprechend sollte man sich auch nicht an der Heiligenverehrung stören, die immer wieder Teil der Interaktion mit dem Publikum ist und die das Konzert in Form euphorischer Fan-Kommentare einrahmt: Sie war immer Teil des Phänomens Morrissey und wird es wohl auch immer bleiben, wenn es an manchen Stellen auch bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus geht. in Sachen Energie und Bühnenpräsenz war Who Put The 'M' In Manchester vielleicht noch etwas intensiver als 25: Live, aber man darf nicht vergessen, dass das Konzert zwischen zwei Krankenhausaufenthalten stattfand und 2013 auch sonst, denkt man etwa an die aus finanziellen Gründen abgesagte Südamerika-Tour, nicht das beste Jahr für Morrissey war. Trotzdem ist von all dem bemerkenswert wenig zu spüren, und so ist 25: Live ein gelungenes Denkmal für 25 Jahre Morrissey, das man sich am besten in Kombination mit der Autobiographie zu Gemüte führt, die ebenfalls dieser Tage erschienen ist.
(Torsten)
http://www.morrissey25live.com/