Thomas Olde Heuvelt - November
(Heyne Verlag)
- subtiler Horror-Fantasy-Roman der besonderen Art -
Der November ist mit Abstand der mieseste Monat im Jahr. Zumindest für die Bewohner der Bird Street. Den Rest des Jahres haben sie das Glück gepachtet. Sämtliche Nachbarn sind gesund, gebildet, erfolgreich, talentiert, glücklich und reich. Doch zu welchem Preis? Alljährlich im November wendet sich nämlich das Blatt für diesen Teil der fiktiven US-Kleinstadt Lock Haven, in Washington State. Im Monat der dunklen Tage schlägt alles ins Gegenteil um. Plötzlich herrschen Depressionen, Unvermögen, Missgeschicke, Krankheit und Tod. Realität und Schrecken verschwimmen zu Furcht, Visionen und Wahnsinn. In dieser Zeit werden sämtliche Karten neu gemischt, denn die Bird Street Bewohner haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sie nennen ihn den Buchhalter. Und der fordert seinen Tribut. Alljährlich. Im November.
Thomas Olde Heuvelt, der niederländische Meister der subtilen Fantastik besitzt diesen einnehmenden, atmosphärischen und empathischen Charme, der ihn allseits beliebt und zu etwas ganz Eigentümlichen macht. Seine komplexen Werke sind in der Regel tiefgründiger Art, feinfühlig, hinterhältig, manchmal auch böse und stets niveau- und fantasievoll. Seine cinematischen Beschreibungen sprechen alle Sinne an und sind gelinde gesagt grandios. So umgibt den modernen, übernatürlichen Horror-Fantasy-Thriller "November" von Anfang an eine düstere und bedrückende, gleichwohl erhabene Aura. Er ist jedoch einen ordentlichen Tacken verspielter, als der grandiose Vorgänger "Echo", was dem Fantasy-Teil mehr Spielraum lässt, im Gegenzug dazu aber für Einbußen in Sachen Tiefgang und Seriosität sorgt. Das kontrastiert stark mit den immer wieder eingeschobenen, schrecklichen Visionen und Halluzinationen, die die 4-köpfige Familie Lewis da Silva plagen. Nicht zuletzt dadurch hatte ich mit der zwar einfühlsamen, gleichwohl ausladenden Einleitung so meine Probleme. Andererseits sorgt Olde Heuvelt mit diesem Umstand dafür, dass die Fantastik hier nach und nach in den Authentizitätsbereich hineingesogen wird. Das ist schon hohe Erzählkunst. Das muss man dem 1983 in Nijmegen geboren Bestsellerautoren schon lassen. Leider wirkt "November" auf mich zu Beginn etwas wirr, ungeordnet und konzeptlos, da mir Thomas Olde Heuvelt zu oft thematisch hin und her springt, ständig um den heißen Brei herumredet, und lange Zeit nicht auf den Kern der Sache kommt. Mit Fortschreiten des Novembers wird die Story allerdings immer ernster, düsterer und boshafter.
Ralph Lewis da Silva, angesehener Richter am King Country Superior Court in Seattle und seine Frau Luana, die gerade Karriere an der Uni macht, plagen Mitte November 2022 arge Sorgen. Noch immer hat die Nachbarschaftsvereinigung im Snoqualmie National Forest kein Opfer dargebracht und die Zeit schreitet unaufhaltsam voran. Schon setzen die ersten unangenehmen Vorfälle ein. Die Situation während der dunklen Tage spitzt sich allmählich zu. Stress setzt unter den Nachbarn ein. Je näher sich die Bewohner der Bird Street auf das Ende des Novembers zubewegen, je verzweifelter, verstörender, verwirrter und abartiger nehmen sich aus. Nur das eine gemeinsame Ziel, das sie allesamt verfolgen, hält die Gruppe noch zusammen. Doch wird sie schon schnell an weit auseinanderdriftende moralischen und ethischen Auffassungen zugrunde gehen. Sie müssen dem Buchhalter ein Opfer bringen, denn Krankheit, Verderben und Verwesung ziehen bereits in ihre Körper, ihre Geister und ihre Seelen ein. Doch ihr besudeltes Gewissen treibt sie in eine Spirale aus Schuldgefühlen, Angst und Wahn und die Heimsuchung der übernatürlichen Art wird ihr aller Abstieg in ihre ganz persönliche Hölle sein!
Die traumatischen Rückblicke in Luana Perreira da Silvas Vergangenheit, im Elend São Paulos, die II. Weltkriegs-Visionen ihres 10-jährigen Sohnes Django, die traumatische Todessehnsucht ihrer 15-jährigen Tochter Kaila, sowie die Initiierung und die Emotionalität der Opfergabe, haben es definitiv in sich, sind zum Teil regelrecht schockierend und schweben nochmal auf einer völlig anderen Genre-Ebene. Aufgrund Olde Heuvelts virtuosen, fantastischen und bildhaften Erzählkunst, greifen selbige jedoch ineinander wie Ebbe und Flut. Der 640 Seiten starke Horror-Fantasy-Roman "November" handelt vom Wert des Glücks, vom Leben, von Altruismus, von Fantasie, von physischer und psychischer Gesundheit und davon, was es bedeutet, selbstbestimmt und in Würde zu sterben. Aber auch vom Suizid, von Depressionen, vom Egoismus, von Moral und Ethik, sowie davon den Preis dafür im Leben zu zahlen. Das letzte Hemd hat zwar keine Taschen, das Gewissen aber unerträglich schwer belastet mit ins Grab nehmen zu müssen, ist eine erdrückende Bürde. Thomas Olde Heuvelt hat hier so einige subtile Schockmomente eingebaut, die immer mal wieder eine deutliche Kerbe im emotionalen Empfinden seiner Leserschaft hinterlassen. Doch die filigran ausgearbeitete Geschichte "November" hat noch deutlich mehr zu bieten...
(Janko)
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Thomas Olde Heuvelt - November
Heyne Verlag
Phantastischer Roman
ISBN: 978-3-453-32144-1
640 Seiten
Paperback, Broschur
Originaltitel: November (2022)
Aus dem Niederländischen von Janine Malz
Erscheinungstermin: 01.11.2023
EUR 18,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
Weitere Formate:
ISBN eBook (epub): 978-3-641-26865-7
Erscheinungstermin: 01.10.2023
EUR 14,99 Euro [DE] inkl. MwSt.
"November" beim Heyne Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/ebook/November/Thomas-Olde-Heuvelt/Heyne/e581574.rhd
Leseprobe: https://www.penguin.de/leseprobe/November/leseprobe_9783453321441.pdf
Niederländischer Buch-Trailer: https://youtu.be/yGV7Z6nnM7U