Kiko Amat - Revanche
(btb Verlag)
- Milieustudie und Familiendrama so gewalttätig wie ein Grizzly auf PCP -
Du bist Amador. Fran Amador. Vize-Capo der Lokos. Einer Gruppe hochkrimineller, psychisch gestörter Hooligans und skrupelloser, gewaltliebender Anhänger des FC Barcelona. Bekannt für Drogen- und Immobilienhandel, Gewaltdelikte und Schutzgelderpressung im ganz großen Stil, deren Alltag sich aus Gegner klatschen, Territorien gegen fremde Dealer verteidigen und Warnungen erteilen zusammensetzt. Ähnlich den Narcos in Südamerika. Mit Fußball hat das ganze wenig zu tun. 1972 geboren und aufgewachsen Mitten im Elend einer kaputten Welt, bist du indes ein wenig in die Jahre gekommen, pflegst aber nach wie vor deine Neigung zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen. Du bewahrst ein Geheimnis, das deinen Tod bedeuten würde und sitzt mit deinem Capo Alberto Cid, genannt "El Cid", Diego Sáez, sowie Mikrobe vor einem Hotel in einem Auto und beobachtest einen Typen mit zwei Grazien. Einen Typen, der euch euer Geschäft streitig machen will. Alles, was ihr davon haltet, landet in seinem Gesicht. Ihr nehmt ihn mit, in eine verlassene Lagerhalle. Er ist gefesselt, bewusstlos, blutet. Du sägst an seinem Daumen. Er wacht wieder auf, verliert erneut das Bewusstsein und in dem Moment auch seinen Daumen.
Der spanische Schriftsteller und Journalist Kiko Amat (eigentlich Francisco de Asís Amat Romeu) nutzt seinen eigenen Slang, mit einem selbst erfundenen Wortschatz, den er Lokoslingo nennt und der innen auf der Umschlagseite seines neuesten Werkes übersetzt ist. Es sind allerdings nur ein paar vereinzelte Wörter. Überhaupt pflegt der, 1971 in Sant Boi de Llobregat, in der Provinz Barcelona geborene Allrounder einen, von subtilem Sarkasmus getriebenen, schmutzigen, kaputten, asozialen, rauen, vulgären, verschlagenen und obszönen Umgangston, der nach Körperverletzung, Sexismus, Vandalismus und Vergeltung schreit. Explizit und endgültig. Amats Sprache ist ungemütlich wie eine Backpfeife, trotz des "Slangs" aber leicht verständlich. Ein Beispiel gefällig? Here We go:
"Ganz vorn stehen ein paar fröstelnde Engländerinnen mit winzigen Klodagefetzen, die wie durch ein Wunder ihre Ausscheidungsorgane und Brustwarzen bedecken." Zitat S. 99 (Klodagefetzen = Kleidungsstücke)
César Beltrán, einstmals große Hoffnung seines Rugby-Clubs, ist Auftragskiller. Das führt den Problemlöser zu einem Vergewaltiger. Er liest ihm die Anklagepunkte vor und bestraft ihn anschließend mit einem Hammer. Einen Pädophilen erdrosselt er und wirft ihn aus dem siebten Stock. Als seine 49 Jahre alte, Alkohol und Drogen nicht abgeneigte Schwester Paloma und deren 15-jährige, fast komplett taube Tochter Lucía bedroht werden, nimmt César den bockigen Teenager vorübergehend bei sich auf. Von seinem Auftraggeber Fundador will er Informationen über einen Kerl namens Diego Sáez. Diego Sáez war der Ex seiner Schwester Paloma. Er ist bei den Lokos und hat ihnen eine Menge Geld entwendet. Die Lokos, die jede noch so kleine Provokation von außen zum Anlass nehmen, ein Exempel zu statuieren, einen Gewaltexzess vom Zaun zu brechen oder einfach mal Dampf abzulassen, wollen von Césars Schwester wissen, wo Diego steckt. Paloma wird dabei schwer gebeutelt und mehrfach in die Mangel genommen. Hier schließt sich der Kreis. Eine Spirale aus anschwellender Gewalt entbrennt, beginnt sich schneller und schneller zu drehen, um so manches blutverschmiertes, verstümmeltes und gefoltertes Opfer achtlos in die Gosse zu rotzen. Bis eine Grenze überschritten wird, César auf Amador trifft und die beiden Psychopathen ihre ohnehin hanebüchene Prinzipien über Bord werfen.
"Er war dem Alkohol ausgeliefert. Wie ein Hundewelpe seine Lumpenpuppe malträtiert, durch die Gegend schleift und dann irgendwo fallen lässt, so tat es der Schnaps mit dem wehrlosen Körper des Franzosen." (Zitat S. 263)
"Wie es schien, war dir das Händchen für die Umverteilung von Eigentum in die Wiege gelegt." (Zitat S. 263)
"Revanche" wurde hauptsächlich aus der Sicht von Amador, in der zweiten Person Singular (also in der Du-Form) verfasst. Damit wird der Leser direkt angesprochen und als homosexueller Amador, der acht Jahre lang im Knast saß, Teil des sprunghaften und rasanten Geschehens. Homophob sollte man als Leser also nicht gerade sein. Auch Gewalt gegen Tiere ist ein mehrfach vorkommendes Thema in Kiko Amats gewaltdurchfluteter Milieustudie. Da muss man durch oder man lässt es bleiben! Amats metaphorisch geprägte Peripherie in stakkatohaften Sätzen, mit ihrem melancholischen Unterton voller Gewalt, Tristesse und Sinnlosigkeit, führt den Leser in die frühe Jugend, die zerrütteten, familiären Verhältnisse, die streitenden Eltern, die Armut, die ersten sexuellen Erfahrungen und die prägenden, teils recht skurrilen Geschehnisse welche die einzelnen Protagonisten erlebt haben. Der Weg ist letztlich das Ziel in Kiko Amats derbem Gewaltexzess "Revanche", der sich um die Suche nach Sinn, Identität, Sexualität, Liebe und Zugehörigkeit dreht. Dennoch menschelt es häufig in seiner Verwahrlosung, mit all seinen dazugehörigen Unzulänglichkeiten. Amats unkonventioneller und humorvoller Schreibstil ist nix für Weichflöten. "Revanche" ist rau, unbequem, rüde und unsympathisch. Ein wahrer Dampfhammer von einem Buch!
(Janko)
https://www.instagram.com/amat_kiko/
Kiko Amat - Revanche
btb Verlag
Thriller
ISBN: 978-3-442-77375-6
448 Seiten
Taschenbuch, Broschur
Originaltitel: Revancha (2021)
Aus dem Spanischen von Daniel Müller
Erscheinungstermin: 13.03.2024
EUR 17,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
Weitere Formate:
ISBN eBook (epub): 978-3-641-28716-0
Erscheinungstermin: 13.03.2024
EUR 9,99 Euro [DE] inkl. MwSt.
"Revanche" beim btb Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/Taschenbuch/Revanche/Kiko-Amat/btb/e617999.rhd
Leseprobe: https://www.penguin.de/leseprobe/Revanche/leseprobe_9783442773756.pdf