Tore tanzt
(Rapid Eye Movies)

Tore lebt in einer Wohngemeinschaft religiöser Punks, die sich als Jesus-Freaks bezeichnen, und handelt stets streng nach christlichem Glauben. Rauschende Partys oder vorehelicher Sex sind dem jungen Mann ebenso fremd wie jede Art von Gewalt oder Aggression. Aus reiner Nächstenliebe hilft er einer Familie bei einer Autopanne und darf zum Dank sogar sein Zelt in deren Garten aufschlagen, als sich seine WG auflöst. Doch mit der Zeit erweist sich Familienoberhaupt Benno als sadistischer Macho, unter dessen Gewaltausbrüchen Tore mehr und mehr zu leiden hat. Der betrachtet die Qualen allerdings als einen Auftrag des Herrn und hält die andere Wange hin.

Katrin Gebbes Spielfilm-Debüt lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Die Werbung sieht in Tore tanzt verständlicherweise den radikalen, kompromisslosen Film, der auf einer schier unglaublichen, wahren Begebenheit basiert. Wer mit verkopftem Autorenfilmen nichts anfangen kann, sieht eine actionlose und wenig entwicklungsreiche Geschichte, die nicht mal das erhoffte Finale parat hält, das etwa mit einem Rachefeldzug von biblischer Brutalität den Film hätte retten können.

Recht haben in gewisser Weise beide, denn die theologisch-philosophische Mikro-Milieu-Studie bietet ähnlich viel Raum für Interpretationen wie Potenzial für Langeweile. Tore tanzt ist eben Geschmacksache, aber immerhin mutig genug, sich ein Nischen-Thema für ein Nischen-Genre auszusuchen. Allerdings muss auch der Hinweis erlaubt sein, dass es mit der wahren Begebenheit streng genommen auch nicht so weit her ist. Wie die Regisseurin im interessanten Bonusmaterial der DVD berichtet, hat sich tatsächlich ein Fall ereignet, in dem ein junger Mann von einer Familie wie ein Sklave gehalten und gequält wurde.

Dies trug sich jedoch völlig ohne den religiösen Kontext zu, der dem Film ja fraglos eine gänzlich andere Dimension verleiht. Denn auch wenn einige wenige der Misshandlungsszenen richtig an die Nieren gehen, bleibt das Zentrum der Handlung zu jeder Zeit Tores unerschütterlicher Glaube und die Konsequenz, mit der er alle Qualen erträgt und sogar zu seinen Peinigern zurückkehrt, nachdem er sie einmal los ist. Was man nun mit dieser zweifelhaften Botschaft anfangen soll, das muss jeder Zuschauer für sich alleine entscheiden. Aber ob man nun zu dem Schluss kommt, dass Tore ein moderner Jesus ist, der die Schmerzen der anderen auf sich nehmen will, oder ob man die Sinnlosigkeit, für die er vielleicht sogar sein Leben lässt, als Symbol für die Gefahr der Religion betrachtet: Tore tanzt mag für den allergrößten Teil des Publikums furchtbar langatmig scheinen - kalt lassen wird er jedoch niemanden. Die DVD verfügt neben den erwähnten Interviews sowie einem Audiokommentar über gute Bild- und Tonqualität und kommt außerdem mit edel gestalteten Booklets daher.

(mosher)