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1914 - Logo

 

Die ukrainischen World War I Spezialisten 1914 haben kürzlich ihren hochgelobten dritten Sprengkopf "Where Fear and Weapons Meet" via Napalm Records unters Volk gebracht. Die fünf Black-/Death-/Doom-Poeten gehen  darin aber weniger auf die Gefallenen des Krieges, als vielmehr auf die überlebenden Rückkehrer ein. Akribisch recherchiert und 1 A umgesetzt, haben die Ukrainer das beste Album ihrer Geschichte abgeliefert. Gitarrist Vitalii Vygovskyy und Sänger Dmytro Kumar oder um es mit 1914s Dienstgrad zu sagen: 307th Infantry Regiment, Capt. Walter Wyhovsky und 9. Westpreußisches Infanterie-Regiment Nr. 176, Hptm. Ditmar Kumarberg gaben mir einen Einblick, rund um das Schaffen der WWI Infanteristen. 

 

1914 - Where Fear and Weapons MeetTT: Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurem dritten Album "Where Fear and Weapons Meet". Es ist ein sehr dynamisches, atmosphärisches, aber auch düsteres Album geworden. Ihr beschäftigt euch dieses Mal weniger mit den Toten des Krieges, als vielmehr mit den Überlebenden, die nach den schrecklichen Ereignissen als Kriegshelden in ihre Heimat zurückkehren. Erzähl mir von diesem Konzept und hattet ihr dies im Hinterkopf, als ihr an die Arbeit zu eurem neuen Album gegangen seid?

 

Vitalii Vygovskyy: Hallo und danke, für dein Interesse! Ja, wenn man die Bedingungen und die Umstände betrachtet, unter denen das Album entstanden ist – es geht um Hoffnung, um Sieg, den Sieg des Lebens, ist es ermutigender geworden, würde ich sagen. Private Johnson von AEF (American Expeditionary Forces / Anm. d. Verf.) überlebte, tötete fast 20 Feinde und kehrte als Held nach Hause zurück. Filip Konowal überlebte ein wildes Massaker, kehrte ebenfalls als Held nach Hause zurück. Die belgische Panzerdivision machte eine Weltreise und sie kehrten als Helden nach Hause zurück. Auch Sergeant Kunze, der das Fort Dumont eingenommen hat, wird zum Helden. Dieses Album handelt von Hoffnung, Leben und persönlichem Heldentum. Es geht nicht um die Verherrlichung des Krieges, sondern um den persönlichen Einsatz und den Lebenswillen.

 

TT: In der Regel recherchiert ihr sehr akribisch. Woher bezieht ihr eure Eindrücke? Aus Dokumentationen, dem Internet, Museen oder bekommt ihr diesbezüglich schon mal Material von Fans und Unterstützern? Sind es lediglich die verschiedenen schrecklichen Szenen des Ersten Weltkriegs, die in die Geschichte eingegangen sind, oder gibt es für euch so etwas wie einen roten Faden?

 

Dmytro Kumar: Ich wühle mich durch die Archive, kommuniziere mit Dutzenden von Historikern, Archäologen, betreibe Militärarchäologie, studiere Karten, Bücher, Memoiren, schaue viele Filme usw. Ich gehe zu den Orten der Geschehnisse, über die ich singe (obwohl ich Gallipoli nicht besucht habe, aber das werde ich noch machen). Einmal übernachtete ich im Wald von Verdun, hinter dem Fort Dumont in den alten Schützengräben, um mich von dieser Atmosphäre inspirieren zu lassen, diesen Ort zu spüren, seiner Stille zu lauschen. Für mich ist es nicht nur Musik, der Stil oder irgendeine Subkultur. Dies ist eine Welle meiner eigenen Emotionen, Erfahrungen, meines Lebens, ich nehme die Geschichten dieser Schlachten, Soldaten, ihres Todes sehr persönlich. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich diesen Krieg und seine Toten mehr lebe, als ich es jetzt hier mit meinem Leben tue. Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, habe ich das Gefühl, dass all diese Toten mit mir auf die Bühne kommen.

 

TT: Was kannst du mir über die Vorbereitung und Durchführung der Produktion sagen? Gab es Probleme (insbesondere im Hinblick auf Corona)? Wie seid ihr diesmal vorgegangen?

 

Vitalii: Nun, die Pandemie hatte einen großen Einfluss auf uns, sowohl persönlich als auch musikalisch. Die Pandemie stoppte alle Konzerte für zwei Jahre. Touren. Festivals. Dies ist das erste Mal in meinem Leben als Musiker, dass ich zwei Jahre lang keine einzige Show gespielt habe. Außerdem ist die Ukraine nicht gerade das stabilste oder reichste Land. Es ist schwierig, solche Schocks hier finanziell und emotional zu stemmen. Du machst dir ständig Sorgen um dich selbst, deine Lieben, denkst darüber nach, wo du Geld herbekommst, wie du ein Kind ernährst, du sitzt den ganzen Tag an deinem Hauptjob und nur abends, wenn du noch die Kraft dazu hast, machst du Musik. Ich kann nicht gerade behaupten, dass das sehr einfach und inspirierend ist.

Aber wir hatten Hoffnung und ein unwiderstehliches Verlangen, wir waren jede Nacht lange wach, um die Riffs und Melodien zusammenzustellen, wir opferten Zeit, die wir ansonsten mit unseren Familien und Kindern verbracht hätten, um etwas Neues zu erschaffen. Scheint nicht umsonst gewesen zu sein!

Wir haben Ende November 2020 mit der aktiven Arbeit am Album begonnen.

Im Winter 2021 haben wir also eigentlich das gesamte Album kreiert, im März haben wir es bei Proben geübt und im April aufgenommen. Im Endeffekt wurde alles in 3-4 Monaten aktiver und komplexer Arbeit geschaffen.

 

TT: Innerhalb von nur sieben Jahren und drei Full-Length-Alben habt ihr in Sachen Arrangements und Produktion fast schon Perfektion erreicht. Wie habt  ihr das hingekriegt?

 

Vitalii: Danke für die warmen Worte. Ich kann nicht sagen, dass ich es als Perfektion betrachte, da Selbstkritik immer eine bedeutende Rolle spielt. Ich denke eher, dass es eine Be- und Verarbeitung der Fehler der vorherigen Alben ist. Außerdem haben wir das Studio für die Aufnahmen gewechselt und müssen dabei zwei Leute ganz besonders hervorheben, die einen gewaltigen Einfluss auf dem Album hinterlassen haben. Da ist Maryan, der Studioingenieur, der die Aufnahmen vorangetrieben hat und ein wirklich anspruchsvoller Profi ist, und Alexander, der für die Mixing-/Mastering-Aktivitäten verantwortlich ist. Ich denke, es ist diese Mischung, die du der neuen Aufnahme anhörst.

 

TT: Ihr habt, bzw. hattet die Möglichkeit Nick Holmes für den (meiner Meinung nach) besten Song des Albums "... And a Cross Now Marks His Place" mit ins Boot zu holen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und wie lief das ab? Habt ihr ihn kontaktiert, kanntet ihr euch bereits und hat er euch seine Gesangspassagen per E-Mail geschickt?

 

Vitalii: Als wir den Song skizzierten – wir konnten die Idee einfach nicht mehr aus unseren Köpfen rauskriegen – haben wir immer seinen Gesang darin gehört. Der Song war emotional und früheren PARADISE LOST sehr ähnlich. Außerdem ist der Text der echte Brief der Mutter eines verstorbenen britischen Soldaten, ein schrecklicher Brief. Nun, wer außer einem echten Briten kann die ganze Tiefe dieses Briefes fühlen und verstehen? Im Grunde haben wir Nick ohne große Hoffnung eine E-Mail geschrieben, in ein paar Tagen die Antwort erhalten, dass es sich bei unserer Anfrage nach einem Demo um eine sehr interessante Idee handelt. Als Nick zustimmte, konnte ich es zuerst gar nicht glauben, es war wie ein Donnerschlag am Himmel, hält der Mann, von dem ich inspiriert wurde, uns doch tatsächlich für würdig, mit uns aufzunehmen. Wir hatten ein paar Mails hin und her geschickt, mit einigen wichtigen Ideen, aber er hat die Gesamtstimmung so gut eingefangen, dass wir nicht einmal etwas korrigieren mussten. Es war einfach großartig; Ich kann mich dieser Tatsache immer noch nicht entziehen.

 

TT: Das ist ein sehr trauriges Lied. Bitte erzähl mir etwas über die Message, dem Making-of, dem Brief an die Mutter (wo habt ihr ihn her) und so weiter…

 

Vitalii: Unser Sänger hat ihn in den Archiven gefunden. Er hat mir einmal erzählt, wie es dazu kam. Zuerst hatte er den Brief nur überflogen, aber dann hat ihn irgendetwas dazu getrieben, ihn noch einmal hervorzukramen und erneut zu lesen. Er tat es immer und immer wieder und als klar war, dass der Inhalt des Briefes mit auf das Album muss, begannen die Buchstaben, eine Art Liedvers zu bilden. Es ist eine große schmerzhafte Geschichte, schlaflose Nächte für seine Mutter und seine Familie, der letzte Brief über die Person, die liebte, lebte, lachte, im Park spazieren ging und die Sterne beobachtete. Und im nächsten Moment verwandelte sich diese Person in ein zerfetztes Stück Fleisch ohne Emotionen, Träume oder Liebe. Während der Tod von Millionen zu einer Statistik wird, ist die Geschichte des Todes dieser bestimmten Person, von der wir jetzt wissen, eine Tragödie. Ich hoffe, dass A. G. Harrison zu einem Symbol für alle Opfer dieses sinnlosen Krieges wird.

 

Foto: May LeeTT: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, mit dem Country- und Folkmusiker Oleksandr Bulich (Sasha Boole) den richtig coolen Song "Coward" aufzunehmen? Ich schätze diesen Song und seine Lyrics sehr! Kennt ihr euch schon länger oder seid ihr erst durch ME AND THAT MAN auf ihn aufmerksam geworden oder hatte das gänzlich andere Hintergründe?

 

Vitalii: Wir kennen uns schon eine ganze Weile, würde ich sagen, aus der Zeit vor MATM. Dieser Track erreichte Dima (Sänger) in seinen Träumen. Außerdem war er derjenige, der davonrannte und erschossen wurde. Er schrieb den Song, als er aufwachte und er erkannte, dass es nicht um Metal-Gitarren geht. Es ist ein 100%iges Soldatenlied, das abends im Graben erklingen sollte, um still den Tod derer zu betrauern, die dem ganzen nicht Stand halten konnten, die diesen Dreck und Tod nicht länger ertragen konnten und davonrannten...vor sich selbst und dem Tod davonliefen. Für mich persönlich ist das Erschießen derjenigen, die den täglichen Tod, den Schmerz und das Blut nicht mehr haben ertragen können, das Erniedrigendste und Widerlichste, was die Imperien ihrem Volk antun konnten. Sie haben ein weiteres Leben in den Sumpf und das Chaos ihrer persönlichen politischen Ambitionen, Grenzen und Macht geworfen und sollten denen, die das nicht durchstehen konnten, Respekt zollen. Als sich dieser Track in unserer Vision manifestierte, stellten wir schnell fest, dass wir diesen Song nur von Sasha Boole performt sehen. Ich liebe seine Gesangsart, sein Timbre, wie er Songs mit Banjo und Mundharmonika mischt. Als er uns das erste Demo schickte, gab es keine Zweifel, dass dies sein Song ist, genau so gemacht werden und genau so klingen muss. Egal, ob er aus dem Album heraussticht – für mich persönlich ist es eines der Album-Highlights, von denen ich hoffe, dass sie noch viele Jahre gesungen werden.

 

TT: Was waren und sind für euch generell die Hauptmotive, Kriegshandlungen, Kriegsschauplätze und insbesondere den Ersten Weltkrieg in eurem Namen zu tragen und zu eurem musikalischen Hauptmerkmal zu stilisieren?

 

Vitalii: Ich erwähne immer unseren Sänger, wenn es um die Fragen zum Hauptthema der Band geht. Es ist kein Geheimnis, dass Dima seit 15 Jahren in der Kriegsarchäologie involviert ist, dieser Mann hat eine große Leidenschaft für den Ersten Weltkrieg, gräbt verschiedene Artefakte und manchmal sogar tote Menschen aus. Ich denke, jede Leidenschaft wie diese hinterlässt eine markante Spur in der Persönlichkeit. Deshalb gab es keinen Zweifel, dass Dima, als er sich an die Jungs wandte, um ihnen mitzuteilen, dass er ein neues musikalisches Projekt ins Leben rufen wollte, es sich um die Geschichte des Krieges handeln würde.

 

TT: Ihr verwendet immer neue "Ränge" für jede Veröffentlichung. Dieses Mal sind es die Namen und Ränge "9. Westpreußisches Infanterie-Regiment Nr. 176, Hptm. Ditmar Kumarberg", "The 51st Highland Division, 1/9th Bn. 2Lt. Liam Fessen", "307th Infantry Regiment, Capt. Walter Wyhovsky", "Le 151e regiment d'infanterie, Cne. Armin d'Harcourt" und "K.K. Landwehr-Infanterieregiment Lemberg Nr.19, Obltn. Rostislaw Potoplacht". Hat das einen besonderen Bezug zu eurem jeweiligen Album oder gar zu einzelnen Songs?

 

Vitalii: Alle Namen von Regimentern und Armeen sind absolut real und historisch. Diese trafen zu einer bestimmten Zeit des Ersten Weltkriegs auf den Schlachtfeldern aufeinander. Und die Namen selbst sind Transliterationen unserer echten Namen in dem Stil eines Landes. Zum Beispiel ist unser Sänger im Leben Dmytro, also wurde er im Deutschen als Dietmar übersetzt, und obwohl der Name Dmytro und Dietmar unterschiedliche Wurzeln, Geschichten und Ursprünge (sowie Bedeutungen) haben, ähnelt er sich doch sehr. Daher haben wir nach dieser Analogie alle unsere Namen geändert. Und bei einigen (wie Oleksa - Liam oder Vitalii - Witalis) ist es eine direkte Entsprechung des Namens in einer bestimmten Sprache.

 

TT: Kommen wir zu einer heiklen Frage über eure musikalische Thematik und euren Bandnamen. Wie steht ihr zu Deutschland und dem deutschen Volk, (auch) mit der gewichtigen Beteiligung des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und dem Zweiten Weltkrieg, der sogar von unserem Boden ausging? Gerade letzteres ist ein unangenehmes Thema, das wir (leider) immer wieder außenpolitisch unter die Nase gerieben bekommen. Das ist natürlich Teil unserer (unrühmlichen) Vergangenheit und Geschichte…

 

Vitalii: Wie empfinde ich Deutschland und die Deutschen? Ich liebe das Land und seine erstaunlichen und fleißigen Leute. Ich komme immer gerne dorthin, um dort zu spielen oder auch um dort zu reisen, ich habe viele Freunde in den verschiedenen Teilen des Landes. Ukrainer müssen viel von euch lernen, wie man ein florierendes Land aufbaut und wie man zum Beispiel das nationale Erbe wahrt, wie die historischen Gebäude, Burgen, die ich immer wieder gerne besuche, wenn ich durch euer schönes Land reise. Mein Verhältnis zu den anderen Aspekten deiner Frage betrachte ich sehr gelassen – ich behandle alles als historische Tatsache und bin immer traurig, wenn Leute die Augen senken, wenn einige "unrühmliche" Themen aufgefahren werden. Jedes Land hat seine Geschichte und ihr habt eine enorme Arbeit geleistet und daraus gelernt. Das haben die Ukrainer zum Beispiel nicht getan und somit ist es hier jetzt, wie es ist. Ich denke, über historische Themen zu sprechen, drängt dich nicht automatisch in eine ideologische Ecke, wie es einige totalitäre Scheißkerle gerne tun.

 

TT: Am 13. März 2022 seid ihr endlich wieder auf Tour. Diesmal seid ihr mit KONVENT, (0), LIVLØS, HIRAES, DWAAL und RUADH unterwegs. Was haltet ihr von diesem Package und kennt ihr die anderen Bands bereits? Mit "Puritan Masochism" legten KONVENT letztes Jahr ein sehr geiles Debüt hin. Die Mädels sind echt klasse! Wie siehst du das?

 

Vitalii: Oh, ich kann es kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen, die Pause war zu lang. Ich mag das Package, alle Bands sind sehr unterschiedlich. Ich denke, gerade diese bunte Mischung könnte das Package für viele Leute interessant machen. Ich kenne die Bands nicht persönlich, aber sie haben in letzter Zeit wirklich krankes Zeug veröffentlicht. Es wird interessant werden, das live zu hören.

 

TT: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen und meine Fragen beantwortet hast! Die letzten Worte dieses Interviews sollten dir gehören…

 

Vitalii: "Die letzten Worte" klingt wie die letzten Worte vor der Hinrichtung :-)

 

(Janko)

 

https://www.facebook.com/1914band


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